Die meisten Kinder schreiben mit sechs Jahren so langsam den eigenen Namen, der kleine Richard Strauss schon in diesem Alter sein erste bekannte s Lied; sein letztes entstand dabei etwa 80 Jahre später, nur wenige Monate vor seinem Tod. Etwa zwei Drittel der Lieder von Strauss lassen sich jedoch auf die Jahre von 1894 bis 1901 datieren. Richard Strauss komponierte diese für seine Frau Pauline, die eine erfolgreiche und international bekannte Sopranistin gewesen ist, mit der dieser in jener Zeit ebenfalls oftmals gemeinsam aufgetreten ist. Viele Musikliebhaber fragen sich, wie komponierte Strauss generell im Laufe seines Lebens zusätzlich zu Opern und den bekannten Orchesterwerken noch mehr als über 200 Lieder. Gemäß der Vorhaben von Strauss ist das Rezept recht einfach. Dieser nahm ein Gedichtbuch zur Hand, und blättere dieses nur beiläufig durch. Dabei hatte sich hier innerlich Musik angehäuft und zwar eines ganz bestimmten Inhaltes. Dabei traf Strauss auf ein dem Inhalt ähnlich klingendes Gedicht und dann ist das Opus sehr schnell da. Die meisten der Lieder von Richard Strauss waren nicht nur besonders schnell da, sondern sind heute immer noch feste und Säulen des klassischen Repertoires. Sehr viel schwerer ist es dabei, die wohl bekanntesten herauszupicken. Ein PC-Lautsprecher für den passenden Klang darf dabei nicht fehlen.
Zu bemerken ist jedoch, dass jene Auflösung in frei kombinierbare Einzelstücke bei Richard Strauss noch bis heute bei den Liebhabern in Erinnerung geblieben ist. Bei zünftigen Liederabenden oder auf einer CD wird generell eine große und bunte Auswahl aus den einzelnen Zyklen geboten. Selbst wenn die jeweiligen Lieder eines Zyklus gänzlich vertreten sind, klingen diese nicht unbedingt nacheinander – was bei einem Schumann- oder einem Schubert-Programm nicht mehr denkbar wäre. Jener dieser freie Umgang mit den Liedern von Strauss eventuell auch auf die gedruckten Quellen zurückgeht, wurde den Experten deutlich, als diese die sehr interessante Geschichte der Ausgaben der Acht Gedichte op. 10 sowie der einzelnen Lieder op. 27 recherchierte, in welchen sich mit Allerseelen und Zueignung (aus op. 10) und Morgen! (aus op. 27) die bekanntesten Strauss-Lieder befinden.
Die beiden Opera erschienen im Verlag Jos. München, Aibl, den der Strauss fürsorglich zugetane Eugen Spitzweg zusammen mit dem Bruder Otto führte. Spitzweg beansprucht dabei den Verdienst, den jungen Komponisten als erster Editor unterstützt zu haben. In den Jahren von 1881 und 1899 veröffentlichte dieser 30 Werke von Strauss, darunter außer Kammermusik, symphonischen Dichtungen, Konzerten sowie dem Opernerstling Guntram gleichwohl auch neun Lied-Opera mit mehr als 40 Liedern. Dies passierte, obgleich Spitzweg auf die Angebote seines Schützlings zuerst abwehrend geantwortet hatte, dass dieser Anderes vorzöge. Zu diesen Zeiten war an den PC-Lautsprecher noch nicht zu denken.
Im Abendrot
Es mutet generell ein wenig kitschig an, wenn der Komponist sein Schaffen mit einem Zyklus an Liedern beendet, in welchem er einen textlichen und einen musikalischen Bogen vom Beginn des Lebens bis hin zum Lebensabend aufspannt. Jener Mythos hat jedoch gleich mehrere Nachteile. Die Lieder waren von Richard Strauss selbst weder als geschlossener Zyklus angesehen worden noch als letzte Werke in guter Erinnerung gewesen, den Titel Vier letzte Lieder wählte hierbei erst der bekannte Verleger Ernst Roth. Die geschichtlich bedeutenden Fakten sind dabei weniger wichtig, der Tod hat dabei wohl nie schöner geklungen als in der Vertonung von Eichendorffs Gedicht „Im Abendrot“. Dies war begleitet von bezaubernden Orchesterklängen, in welchen der Komponist Strauss zugleich seine sinfonische Dichtung Verklärung und Tod zitiert hatte. Dabei begeben sich die Seelen nach einem sehr langen Weg in das metaphorische Abendrot und schweben dann in Form der Piccoloflöte während die Musik dann noch sanft erlöschen kann.
Wer lieben will, muss leiden
Der Dichter Curt Mündel hatte einst in seinem bekannten Band Elsässische Volksweisen Nachweise von Volksliedern gesammelt. Wer dabei lieben will, der muss leiden ist bei Richard Strauss in einem sehr traurigen d-Moll sowie einer elegischen Klavierbegleitung zu hören, während die gesungene Stimme sehr schöne und herrliche Bögen dazutut. Wenn das poetische Ich in der dritten Strophe von der „Omnipotenz Gottes“ spricht, erhebt sich die Linie des Gesangs in transzendente Bereiche, ehe die Stimme der Mutter „aus der kühlen Gruft“ wie eine weiter entfernte Verheißung in einem morendo erlischt und hierbei die Zuhörer genauso verlassen und sehr alleine im Stück zurücklässt.
Allerseelen
Eines der schönsten und zugleich sehr komplex zu deutenden Lieder von Richard Strauss ist zweifellos Allerseelen. Lebendig oder tot ist hierbei die zentrale Frage, welche sich dem Hörer stellt. Schon die ersten Reime „Stell auf den Tisch die duftenden Reseden, die letzten roten Astern trag herbei“ geben dem Hörer einen Hinweis, denn die Reseden und zugleich die Astern sind traditionell bekannte Pflanzen, welche die Gräber schmücken und Sinnbilder der Erinnerung sind. Dabei wird in der römisch-katholischen Lehre zum Feiertag Allerseelen den Toten gedacht, deren Seelen an jenem Tag – „ein Tag ist dabei den Toten frei“ – wieder aufsteigen können. Angesichts dieser Tatsache, dass der Komponist Richard Strauss katholisch requiriert worden ist, liegt die Vermutung nahe, dass dieser das Gedicht bereits vor diesem Hintergrund vertont und interpretiert hatte. Wie eine friedliche Rückschau erklingt darum die Klavierstimme in einem tröstendem Dur, die Linie des Gesangs scheint hierbei vom Klavier angefangene Gedanken zu vollenden und so dominiert die Schönheit der Erinnerung über dem vorherrschenden Schmerz.